Leb wohl, Verkehrswende
Bundesregierung stimmt für die Aufweichung des Allgemeinen Einsenbahngesetzes.
Mit dem Scheinargument Wohnungsbau auf Bahnbetriebsflächen zu ermöglichen, hat der Bundestag am 26. Juni 2025 für die Aufweichung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes gestimmt. Erst im Dezember 2023 wurde dieses Gesetz zugunsten der Schieneninfrastruktur gestärkt. Jetzt soll es aufgeweicht werden und nur der Bundesrat kann noch verhindern, dass die Verkehrswende in Deutschland weiter ins Stocken gerät.
Mit der Mehrheit der Regierungsparteien von CDU/CSU und SPD wurde im Zuge der 14. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages, am Donnerstag, 26. Juni 2025, zu später Stunde eine Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) beschlossen (siehe TOP28). Sofern der Bundesrat dem nicht widerspricht, wird damit dem weiteren Rückbau von Schieneninfrastruktur Tür und Tor geöffnet werden.
Aus Sicht der BI Wuhlheide unterstreicht der Beschluss die Prioritätensetzung der Bundesregierung. Mobilitätswende und Klimaschutz werden durch Gesetzesänderungen wie diese verhindert. Einmal entwidmete Bahnfläche sind für den künftigen Ausbau der Schiene verloren und können mit anderen Projekten bebaut werden. In Berlin soll durch diese Änderung eine Schnellstraße durch das Naherholungsgebiet „Wuhlheide“ ermöglicht werden.
Anders als im Gesetzentwurf behauptet, zielen die verabschiedeten Änderungen nicht darauf ab, ein von der Vorgängerregierung übersehenes Problem für die Schaffung von Wohnraum zu beheben. Diese Erzählung wird vor allem von den Interessensvertretern der kommunalen Spitzenverbände verwendet, um Politiker*innen unter Druck zu setzen. Vielmehr geht es um eine Rückkehr zum Zustand vor Dezember 2023: Die bis dahin gängige Entbehrlichkeitsprüfung machte die großzügige Freistellung von Bahnbetriebsflächen möglich.Vor allem größere Städte verstanden diese Praxis als Einladung, ihre stadtentwicklungspolitischen oder infrastrukturellen Prestigeprojekte auf Kosten der Schiene umzusetzen.
Mit der nun verabschiedeten Verankerung einer rückwirkenden Übergangsregelung und einer Ersatzlösungsklausel ohne qualitative Anforderungen im AEG, wird – sollte der Bundesrat dem zustimmen – ein immenser Schaden für den Schutz von Bestandsstrecken entstehen. Betroffen sein könnten Projekte wie der Gäubahn oder Reaktivierungsinitiativen. Leidtragende wären vor allem Menschen im ländlichen Raum, während sich vor allem Immobilienentwickler*innen über neue Filetstückchen freuen dürften.
Obwohl vielfach behauptet, hat das Eisenbahnbundesamt (EBA) knapp ein Drittel der angefragten Bahnbetriebsflächen, trotz der Gesetzesverschärfung von 18 Monaten, freigegeben. Seit dem Inkrafttreten der aktuellen Freistellungsregeln im Dezember 2023 hat das EBA viele Freistellungsanträge nach §23 AEG geprüft und positive Rückmeldungen gegeben - trotz des überragenden öffentlichen Interesses. Darunter Fälle für Wohnbau- oder Infrastrukturprojekte auf ehemaligen Bahnbetriebsflächen. Die BI Wuhlheide hatte in einem Schreiben an Parlamentarier*innen und in einer Stellungnahme an den Verkehrsausschuss genau darauf hingewiesen, aber in der Argumentation des Änderungsantrags vom 26. Juni wird dieser Fakt unter den Tisch fallen gelassen. Diese Informationen sind leicht anhand der frei auf den Internetseiten des EBA abrufbaren Freistellungsbescheide gemäß §23 AEG überprüfbar.
Noch einen Tag vor der Abstimmung beriet der Verkehrsausschuss hinter verschlossenen Türen über den Gesetzesantrag und brachte kurzfristig weitere Änderungen ein. Die eigentlich unübersehbare Widersprüchlichkeit zwischen Antrag und tatsächlicher Freistellungspraxis, scheint dabei nicht aufgefallen zu sein. Selbst auf eine mehrfach vorgeschlagene Anhörung des EBA im Ausschuss wollten die Politiker*innen der Regierungsparteien nicht warten.
Bei der Abstimmung im Bundestag war die CDU/CSU trotz fortgeschrittener Zeit um 23:40 noch stark vertreten. Zudem forderte die Union extra eine namentliche Abstimmung. Aus den dann zunächst gehaltenen Reden war auch nichts Neues mehr zum Thema zu erfahren - vor allem nichts über besagte Widersprüchlichkeit.
Am Ende hat der Bundestag mit 545 Stimmen für die Änderung gestimmt. Die BI Wuhlheide wird auf Grundlage der gerade gestarteten Petition mit dem Titel „Spur halten“ weiter um Stimmen gegen die verabschiedeten Änderungen werben. Innerhalb einer Woche kamen hier bereits knapp 2000 Unterschriften zusammen, eine beachtliche Zahl in Anbetracht der Kürze der Zeit und Komplexität des Themas. Unser Ziel ist es, die endgültige Verabschiedung der Änderungen im Bundesrat zu verhindern.
Beschlussempfehlung und Bericht des Verkehrsausschusses (15. Ausschuss)
Drucksache 21/642 (https://dserver.bundestag.de/btd/21/006/2100642.pdf)
Ergänzende Notizen aus Plenarsitzung:
Auszählungsergebnis: 545 Stimmen: 305 Ja, 172 Nein, 68 Enthaltungen
Jetzt Petition unterschreiben!
Petition gestartet: Bürgerinnen und Bürger warnen vor Aufweichung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
Die BI Wuhlheide kritisiert die geplante Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG), über die der Bundestag voraussichtlich am 26. Juni abstimmen wird. CDU/CSU und SPD wollen mit einem Änderungsantrag die gesetzlichen Hürden für die Entwidmung von Bahnflächen senken (§23 AEG). Aus Sicht der Initiative wäre dies ein Rückschritt für Klimaschutz und Mobilitätswende, denn diese gefährde langfristig die Reaktivierung und den Ausbau des Schienennetzes.
„Einmal entwidmete Bahnflächen sind für die Schiene dauerhaft verloren“, warnt die BI Wuhlheide. „Gerade im Kontext der Mobilitätswende müssen wir die verbliebenen Bahnflächen sichern, anstatt sie kurzsichtigen städtebaulichen Interessen zu opfern.“
Die BI Wuhlheide beruft sich dabei auf den Abschlussbericht der Beschleunigungskommission Schiene. Die stellte fest, dass die viele Entwidmungen, die vor einer Novellierung des §23 AEG Ende 2023 vergleichsweise leicht möglich waren, jetzt die notwendigen Kapazitätssteigerungen im Bahnbereich verhindern. Wer sich also heute über lange Umsteigezeiten, Verspätungen und überfüllte Züge beklagt, sollte ein Interesse daran haben, die verbliebenen Bahnflächen zu sichern, anstatt sie kurzsichtigen, städtebaulichen Interessen zu opfern. Mit dem Änderungsantrag würde man aber im Wesentlichen wieder zur alten Entwidmungspraxis zurückkehren und damit die genannten Probleme verschärfen.
Wer ist betroffen – und warum ist die Debatte wichtig?
Die geplanten Änderungen könnten bundesweit erhebliche Auswirkungen auf Bauprojekte, Klimaanpassung und Stadtentwicklung haben, insbesondere in wachsenden Metropolregionen. Bei einer Anhörung im Verkehrsausschuss im Dez. 2024 wurde der Änderungsbedarf seitens der Befürworter der Änderungen unter anderem mit folgenden Projekten begründet, die jedoch eindeutig in Konflikt zur Schieneninfrastruktur stehen:
• Berlin: Die Trasse für die geplante vierspurige Tangentialverbindung Ost (TVO) durch die Wuhlheide verläuft in weiten Teilen entlang ehemaliger Bahnflächen. Eine erleichterte Entwidmung dieser Flächen könnte den Lückenschluss der S-Bahn von Karow nach Grünau dauerhaft behindern oder unmöglich machen.
• Stuttgart: Beim Projekt Stuttgart 21 steht die geplante Entwidmung der sogenannten Gäubahn-Anbindung im Zentrum der Kritik. Diese Entscheidung würde den direkten Regional- und Fernbahnanschluss einer ganzen Region kappen – ohne gleichwertige Alternative. Ein Desaster für zahlreiche Berufspendler und die Entwicklung im ländlichen Raum!
Auch in anderen Städten wie München, Leipzig oder Frankfurt wurden ehemals bahnbetrieblich genutzte Flächen zunehmend als Reserve für den Stadtumbau betrachtet. Eine Schwächung von § 23 AEG würde solchen Vorhaben Tür und Tor öffnen – zu Lasten einer langfristig tragfähigen Infrastrukturpolitik.
Die BI Wuhlheide hat daher eine Petition mit dem Titel „Spur halten – § 23 AEG nicht aufweichen, Schienenraubbau stoppen!“ gestartet. Sie ruft die Abgeordneten auf, dem Gesetzesvorhaben in dieser Form nicht zuzustimmen und statt einer Rückkehr zur alten Freistellungspraxis eine sorgfältige Interessenabwägung auf Basis der bestehenden Rechtslage zu ermöglichen. Die Anwendungspraxis des bestehenden Gesetzes zeigt, dass eine hinreichende Interessenabwägung auch auf Basis der aktuellen Fassung funktioniert. Anträge auf Freistellung, die fachlich nachvollziehbar begründet waren, wurden entsprechend bewilligt, wie die öffentlich abrufbaren Fallentscheidungen des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) zeigen.
Wohnungsbau ja – aber nicht auf Kosten der Schiene
Die Bürgerinitiative betont ausdrücklich: Die Petition richtet sich nicht gegen den dringend benötigten Wohnungsbau. Bezahlbarer Wohnraum und Stadtentwicklung sind zentrale Zukunftsaufgaben. Sie dürfen jedoch nicht gegen den Erhalt und Ausbau einer klima- und zukunftsgerechten Schieneninfrastruktur ausgespielt werden. Denn Bahnflächen sind meist nicht ersetzbar, da sie in überregionale Netze eingebunden sind. Städtebauliche Vorhaben können dagegen oft auch durch alternative Maßnahmen wie Nachverdichtung, Umnutzung von Parkflächen, Aufstockung und vieles mehr realisiert werden – vorausgesetzt, der politische Wille ist da.
Die Petition ist ab sofort online abrufbar. Jede Unterschrift stärkt das Signal an den Bundestag gegen den Änderungsantrag und damit für den Erhalt einer zukunftsfähigen Schieneninfrastruktur zu stimmen.
Link zu Petition und weitere Informationen:
▪ Link zur Petition: https://weact.campact.de/petitions/spur-halten-ss23-aeg-nicht-aufweichen
▪ Datenbank der Fallentscheidungen des EBA zu § 23 AEG: https://www.eba.bund.de/DE/Themen/Freistellung/freistellung_node.html
▪ Debatte im Rahmen des 10. Plenum des 21. Deutschen Bundestags: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw23-de-eisenbahngesetz-1076008
▪ Wortlaut § 23 AEG – aktuell gültige Fassung: https://www.gesetze-im-internet.de/aeg_1994/__23.html
▪ Sachverständigenanhörung Verkehrsausschuss Dez. 2024: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-pa-verkehr-eisenbahngesetz-1030836
▪ Bundestagsdrucksache 21/326 (Juni 2025) – Änderungsentwurf § 23 AEG: https://dserver.bundestag.de/btd/21/003/2100326.pdf
▪ Beschlussankündigung zu §23 AEG: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw26-de-eisenbahngesetz-1084790
▪ Abschlussbericht der Beschleunigungskommission Schiene (Dez. 2022): https://www.bmv.de/SharedDocs/DE/Anlage/K/abschlussbericht-beschleunigungskommission-schiene.pdf
▪ Studie – Erfolgsfaktoren für eine Reaktivierung regionaler Bahnstrecken: https://www.researchgate.net/publication/376381172_Aspekte_des_Mobilitatsmanagements_Erfolgsfaktoren_fur_eine_Reaktivierung_regionaler_Bahnstrecken
▪ Pressemeldung zur Reaktion auf §23 AEG in Stuttgart und anderen Städten: https://www.staatsanzeiger.de/nachrichten/kreis-und-kommune/neues-gesetz-blockiert-den-bau-tausender-wohnungen/
▪ Positionierung gegen Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG): https://www.region-stuttgart.org/de/informationen-downloads/news/detail/regionalversammlung-positioniert-sich-gegen-aenderung-des-allgemeinen-eisenbahngesetzes-aeg/
▪ Informationen pro-Gäubahn: https://pro-gaeubahn.de/fileadmin/user_upload/document_4_.pdf
▪ Stellungnahme des Deutschen Städtetags zur Änderungsinitiative: https://www.staedtetag.de/presse/pressemeldungen/2025/bauprojekte-auf-ehemligen-bahnflaechen-endlich-planungssicherheit-im-eisenbahngesetz-schaffen
▪ Informationen zu Bedeutung von Reaktivierung und Neubau von Schienenverbindungen: https://www.vdv.de/reaktivierung-bahnstrecken.aspx